Gerade war ich bei Penny einkaufen. Direkt neben dem Penny ist ein Doenerladen. Dazwischen sassen zwei recht betagt aussehende Tippelbrueder und tranken Bier. Als ich rauskam schuettete der eine von beiden mit dieser typischen Handbewegung den letzen Rest aus der Flasche vor sich auf den Boden aus. Zugegeben, „der Rest“ war schon noch sehr gross…
Die Besitzer bzw. das Personal von dem Doenerladen standen gerade vor jenem, und machte eine Raucherpause. Der eine bekam das Ausschuetten mit, und sprach daraufhin den Mann an:
Personal: „Ey, das ist mein Bereich hier. Hoer auf damit, ich muss das nachher wieder sauber machen…“
Mann: „Och, das war doch nur noch son kleiner Rest…“
Personal: „Was soll denn die scheisse… Lass das gefaelligst sonst geh hier weg…“
Mann: „Wie redest Du denn mit mir, ich kann hingehen und mich hinsetzen wo ich will. Und soviel war das nun auch nicht…“
Personal: „Ey, Penner, lass das gefaelligst sonst hau ab!“
*Pause*
…
*Der Mann faengt an zu weinen*: „Ich bin kein Penner!“
*Personal geht leicht verwundert auf den Mann zu*
Mann: „Ich bin kein Penner, verstehst Du!“
Personal: „Sorry, aber lass das bitte!“
*Der Mann weint immer noch*: „Ich bin kein Penner, ich bin kein Penner!“
Personal: „Ja, sie sind kein Penner, entschuldigen Sie, aber bitte lassen Sie das Bierausschuetten hier das naechste mal sein…“
*Personal geht zurueck in den Doenerladen*
*Mann schluchtzend*: „Ich bin kein Penner…“
Ich bekam das ganze mit, waehrend ich meinen Rucksack aufsetzte, mein Fahrrad losschloss und mir meine Handschuhe danach anzog. Ich musste sofort an den Ausschnitt einer Geschichte Denken, die ich gerade erst vor kurzem gelesen hatte:
„Eines Tages im November 1991 befand ich mich unmittelbar suedlich der Grenze zu Tansania. Das Gebiet war vom Buergerkrieg schwer heimgesucht, viele waren getoetet oder verstuemmelt worden oder beides, der Hunger war weit verbreitet, da die Ernte verbrannt wurde. Es war, als befaende man sich in einem Inferno, in dem das Elend entlang der staubigen Strassen qualmte. Eines Tages folgte ich einem Pfad zu einem kleinen Dorf. Da kam mir ein junger Mann entgegen. Es schien, als sei er direkt aus der Sonne herausgetreten. Seine Kleider waren zerfetzt. Er war vielleicht neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Als er naeher kam, sah ich seine Fuesse. Ich sah etwas, das ich nie vergessen werde, solange ich lebe. Ich sehe es in diesem Moment vor mir, waehrend ich davon erzaehle. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht an diesen Jungen erinnere, der mir direkt aus der Sonne entgegenkam. Was sah ich da? Seine Fuesse. Er hatte Schuhe auf seine Fuesse gemalt. Mit Hilfe von Erdfarben hatte er bis zuletzt seine Wuerde bewahrt. Schuhe hatte er keine, keine Stiefel, nichts, nicht einmal ein Paar aus den Resten eines Autoreifens gefertigte Sandalen. Wenn es keine Schuhe gab, musste er sie eben selber herstellen. Also malte er sich Schuhe auf die Fuesse und durch dieses Malen staerkte er sein Bewusstsein dafuer, dass er trotz allen Elends ein Mensch mit intakter Wuerde war.“
(Henning Mankell – Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt, S 68, erschienen im Zsolany Verlag)